Das überzeugende Konzert in der Propsteikirche St. Walburga in Werl am 23.12.2024 trifft mit der wunderschönen Musik die Zuhörer mitten ins Herz.
Ein markantes Paukensolo. Trillernde Flöten und Oboen. Und schließlich ein aus dem Nichts einsetzender Sterjubel, der Vom Himmel auf die Erde zu schweben scheint. Schmetternde Trompeten geleiten die 80 Stimmen aus dem Madrigalchor Werl und dem Kirchenchor St. Petri, Hüsten (Einstudierung Kantor Peter Volbracht) in das unvergleichliche musikalische Geschehen. Weihnachtsstimmung stellt sich ein, denn dies ist der Beginn von Johann Sebastian Bachs ,,Weihnachtsoratorium“.
Ursprünglich für die drei Weihnachtstage des Jahres 1734 und für den Jahresbeginn 1735 geschrieben, ist das Werk längst zum unverzichtbaren musikalischen Bestandteil zeitloser Advents- und Weihnachtstradition geworden. Seit zwölf Jahren läutet der heimische Konzertchor mit dem festlichen genialen Werk mit seinen wunderschönen Chorälen und Arien die stimmungsvollste Zeit des Jahres ein.
Am Montag (23. Dezember) gelang es dem seit einem Jahr amtierenden Chorleiter, Chordirektor Hartwig Diehl – emeritierter Kantor des Neheimer Doms – die Gruppe der Choristinnen und Choristen, die 23 Musikerinnen und Musiker und die vier Solistinnen und Solisten im akustisch anspruchsvollen Ambiente der St. Walburga Kirche durch die Klippen der gleichermaßen komplexen wie filigranen Partitur zu führen.
Sind im festlichen ersten Teil das Wunder der Geburt und seine – erhofften – Auswirkungen auf die Menschheit mit reichlich orchestralem Glanz illustriert (wenngleich der Schmerz über das Ende dieses so gefeierten Retters im ersten Choral ,,Wie soll ich dich empfangen“ frappierend anklingt), so steht im zweiten Teil konkret und wunderschön bildhaft die Szenerie im schlichten Stall im Vordergrund: damit auch die von Bach pychologisch genial angedeutete Ankunft in den Herzen der so leichtfertig als ,,schlicht“ verachteten Landleute.
Die in ihrer Routine ruhenden Hirten spielen das Lied von der Geburt des Erlösers auf ihren Schalmeien (wunderschön realisiert vom Ensemble aus Oboen und Flöten!) mit kindlich-klugem Verständnis, mit unverstelltem Blick auf das Unerwartete, während der warme Streichklang den ,,Gesang der Engel“ malt.
Die wunderschönen Arien lassen auch und vol allem uns moderen Menschen durchatmen und nachsinnen: Ochs und Esel begreifen mehr als wir denken!
Der dritte Teil stellt dann deutend und deutlich den Blick des betrachtenden, glaubenden, auch unvollkommenen Menschen in den Focus (…,,erhöre das Lallen“, das irritierte Los- und Weglaufen der Hirten ,,Lasset uns nun gehen“, die Erkenntnis ,,Herr, dein Mitleid, dein Erbarmen tröstet uns und macht uns frei“) – das Große und Starke im Kleinen und Schwachen wandelt sich hier sinnfällig von der Ahnung zur Gewissheit (,,Seid froh dieweil, dass eurer Heil ist hier ein Gott und auch ein Mensch geboren“).
Alles verbindend wie eine große innere Klammer sind die kommentierenden Choräle, die in ihrer scheinbaren Schlichtheit gut 1700 Jahre Christentum mit all seinen Errungenschaften und Mängeln, das jederzeit spannende Verhältnis Gott-Mensch symbolieren und wortstark deuten, auf die Hartwig Diehl besonderes Augen- und Ohrenmerk richtete. Denn ist auch jeder der (hier gehörten) drei Teile in sich geschlossen, so lässt erst das Ganze die tiefe, wahre Bedeutung von Weihnachten aufscheinen, durchdringen, mitten ins Herz treffen.
Das Solistenquartett Bernadette Volbracht (Sopran), Christiane Baumann (Alt), Thomas Iwe (Tenorarien und Evangelist) und Gerrit Miehlke (Bass) wurde den schwierigen Aufgaben mit größter Souveränität und Leichtigkeit gerecht, voran die beiden Männerstimmen, die mit warmer Fülle und klarer Diktion die so unterschiedlichen Anforderungen besonders brillant meisterten.
Im Orchester Musica antiqua Markiensis, das in historischer Disposition und Stimmung stilgetreu die klangliche Grundierung formte, brillierten die drei Trompeten, grandios vorweg der langjährige Leiter des Madrigalchors Jörg Segtrop. Die klug und einfühlsam eingesetzten Instrumentensoli (Violine, Flöte, Oboe) und – großartig souverän!- die Continuogruppe mit Orgel, Cello und Fagott, teils Kontrabass, rundete das muskalische Geschehen nahezu vollkommen ab.
Der große Chor agierte in allen Nuancen zwischen festlicher Stimmgewalt und leichten, bisweilen wie gefordert tänzerisch schwebendem, ausgewogenen Gesamtklang. Sängerische Routine stand hier jederzeit im Dienst des aufmerksamen Mitverfolgens und -gestaltens, weshalb auch die komplizierten polyphonen Einsätze allesamt überzeugend gelangen und die zahlreichen Stimmen in den homophonen Passagen ,,auf den Punkt“ sangen und artikulierten.
Bericht aus dem Werler Anzeiger vom 28.12.24 von Heike Heinke
Fotos: Thomas Nitsche, Werler Anzeiger